Rozvita ist weg
2011.06.23.
„Traurig ist das Lied, das gerade mich ruft
Alles vergangen, wispert was der Wind, versteh’ nicht mehr
Nehme das Ende wahr, es ist keinem Anfang wert
Finsternis fällt mich an, spüre, wie sie mich bedeckt
Verletzter Kämpfer, es gab Krieg, ging rasch zu End’
Ich verweile, bleibt ja keine Hoffnung mehr
Es gibt ja kaum noch Chance.
Traurig ist das Lied, mir ist alles egal
Gäbe es einen Ausweg, brächte er auch nicht weit
Kein Licht, nur Angst, verschlingt die Dunkelheit
Ich gäbe auf, was kommt noch? Das reicht.“
/Szilaj – Traurig ist das Lied/
Rozvita, die Kisbérer Halbblutstute ist im Jahre 1989 geboren. Sie kam im Oktober 2010 in unser Tierheim, nachdem die Familie ihres Besitzers durch die Kolontarer Rotschlammkatastrophe betroffen worden war. Laut Besitzer wurde Rozis Euter einige Tage davor von einer Zecke gestochen, wodurch es etwas angeschwollen war. Und damit fing der Leidensweg von Rozi an…
Die Spur eines Zeckenstichs sollte bald verschwinden, aber das Euter von Rozi sah immer schlimmer aus, deshalb ließen wir nach ein paar Tagen unseren Tierarzt kommen. Es schien nichts Ernstes zu sein, so blieben wir dabei, die blutige Milch täglich abzumelken, außerdem sollte die Stute eine Euterinfusion bekommen. Leider zeigte sich keinerlei Besserung, weder entzündungshemmende Medikamente noch Antibiotika konnten helfen. Auf den Ultraschall- und Röntgenbildern gab es keine Veränderung, weder Zyste noch Geschwulst waren zu sehen. Wochen und Monate vergingen, das Euter des Pferdes wurde immer geschwollener, statt blutiger Milch konnte man praktisch nur reines Blut abmelken. Nicht einmal die Musterentnahme brachte Ergebnis, obwohl zwei verschiedene Labors zwei verschiedene Muster untersucht hatten – bei der Bakterienzüchtung fand man keine Bakterien oder Krankheitserreger, es stellte sich bloß heraus, dass es hier um eine sterile Entzündung geht.
Unser Tierarzt konsultierte mit halb Europa darüber, was diesen entstellten Laktationsprozess verursachen konnte. Die Mehrheit war der Meinung, es gehe hier um ein Problem, dessen Grund an der Herkunft des Futters liege. Es sei eine Art toxische Reaktion, die man dadurch lösen kann, dass man das Pferd mit anderem Heu füttert. Nachdem wir behauptet hatten, es sei geschehen –das Pferd wohnt jetzt 200 km weiter, und wir besorgen das Futter sowieso von mehreren Orten – zuckte jeder ratlos mit der Achsel, niemand traf bis jetzt so einen Fall.
Wir suchten mehrere Tierkliniken auf, sowohl in Ungarn, als auch im Ausland, aber niemand wollte den Eingriff, also die Euteramputation vornehmen, teils wegen des vorgerückten Alters des Tieres, teils im Informationsmangel über den Grund der Krankheit.
Inzwischen wurde das Euter des Pferdes immer geschwollener, immer amorpher; wenn das sich sättigte, kam es auch schon zur spontanen Entleerung, so wurden die Hinterbeine von Rozi ständig blutig. Langsam wurde das ganze Euter sogar zu einem riesigen Abszess, der an mehreren Orten aufbrach; Blut und blutiger Eiter flossen heraus, was nicht einmal durch eine ernsthafte und wiederholte Antibiotikums-Kur angehalten werden konnte. Wahrscheinlich hatte Rozi leider auch große Schmerzen, sie fraß ja, trotzdem verlor sie dauernd an Gewicht. Wir versuchten ihre Schmerzen mit mehr oder weniger Erfolg zu lindern; Rozi hatte mal gute, mal schlechte Tage – leider dominierten mit der Zeit die Letzteren.
Die Nebenwirkungen der ungeheuer vielen Medikamente gefährdeten schon die Leber und den Magen des Tieres (die wirksamsten schmerzstillenden Mittel können leider bei Pferden zum schweren Magengeschwür führen), die Medikamente übten immer weniger Wirkung aus. Rozvita nahm immer mehr ab, sie entzog sich dem Leben des Gestütes, sie ging den Menschen immer mehr aus dem Weg. Noch dazu brach der Frühling herein, und mit der Wärme kamen auch die Fliegen an, die das Ulkuseuter und das stets blutige Bein von Rozi unvermeidlich beschmissen hätten.
Wir sollten einen Entschluss fassen… einen sehr schweren Entschluss. Nach tagelangen Erwägung und Überlegung wurde es uns klar, dass Rozi schon die letzte Entscheidung traf – schon seit 3 Tagen schloss sie sich an das Gestüt nicht an, sie stand bloß einsam und zurückgezogen da, nur sie mit den Schmerzen…
Als es sich schließlich herausstellte, dass Rozi eingeschläfert werden soll, wurde jeder durch die Nachricht deprimiert. Jeder war niedergeschlagen und schwermütig, niemand fand seinen Platz. Man schluchzte, man hatte Tränen in den Augen, manche weinten an der Unfallstation, andere im Stall. Es gab welche, die von den Gefühlen hingerissen auf die Weide eilten, um Rozi nochmals zu umarmen.
Als es am Samstag immer wahrscheinlicher wurde, dass wir Rozi durch die Regenbogenbrücke begleiten sollen, wollte keiner die endgültige Entscheidung treffen, obwohl jeder wusste, dass es so am besten wäre. Letztendlich haben wir es getan. Es war sehr hart, aber so war es richtig. An ihren letzten Tagen nahm jeder von ihr Abschied.
Der Tag der Einschläferung brach an. Ein paar Freiwillige, die das Gefühl hatten, ihr in den letzten Minuten Hilfe leisten zu müssen, erschienen müde (keiner konnte doch schlafen) und traurig.
Noch ein letztes Mal fütterten wir sie mit Rübe.
Am ganzen Vormittag mussten wir uns zusammenreißen, um nicht um Rozi zu trauern, sie lebte ja noch. Gegen 11 Uhr kam der Tierarzt an. Wir machten uns auf den Weg, um uns von Rozi würdig zu verabschieden, und sie von den Schmerzen zu lösen. Wir gingen auf die Weide, Rozi ließ uns liebevoll zu, ihr die Halfter anzulegen, damit wir sie fortführen können. Vielleicht protestierte sie nicht, weil sie schon Bescheid wusste, warum wir kamen, und sie war damit einverstanden, sie gab es schon seit langem auf. An einer Ecke der Weide hielten wir an –sie mochte nie allein sein, deshalb wollten wir nicht, dass sie in den letzten Minuten allein, ohne ihre Gefährte wird. Uns war es klar, dass die anderen Pferde das Ganze verkraften können.
Rozi bekam die erste Spritze.
Karma, der tibetische Priester, der geistige Leiter der Gemeinschaft „Noé (Noah) fürs Leben“ steht an ihr und betet für sie. Das ist auch für uns ein Trost, ist er dabei, so lässt es sich leichter glauben, dass Rozi nicht verstirbt, sie verlässt bloß diesen kranken Körper.
Doktor Kerekes verabreicht auch die zweite Spritze.
Rozi liegt auf dem Boden, wir stehen um sie herum, streicheln sie und versuchen die Tränen und die Enttäuschung zu verbeißen; wir konnten ja so einem prächtigen Pferd keine Hilfe leisten, und jetzt sollen wir es fortlassen. Der Tierarzt horcht, wie das Herz unseres lieben Pferdes immer langsamer schlägt; plötzlich erklingt ein Glöckchen hinter uns… von jetzt an spüren auch wir keine Herzschläge unter unseren Händen, auch der Arzt gibt ein Zeichen… es ist vorbei… Rozvita ist weg…
Bis heute wissen wir nicht, wie Karma wahrnehmen konnte, dass Rozis Herz gerade in dem Moment stehen blieb, aber er fühlte das, und wir freuen uns sehr, dass er für Rozi da war und ihr so helfen konnte, wie wir dazu nicht fähig sein konnten.
Unser Pferd Ajtony, mit dem Rozi ihre letzten Wochen auf der Weide verbrachte, war Augenzeuge davon. Er stand fassungslos da, man konnte ihm seinen Verlust anmerken. Wir streichelten Rozi noch zu einem letzten Mal und verließen den Ort niedergeschlagen, mit Tränen in Augen, voll von Verlustgefühl.
In diesem Augenblick führte Ajtony das winzige, nur noch aus drei Pferden bestehende Gestüt zur Rozis abgedeckten, auf Abfuhr wartenden Leiche; auch sie wollten sich noch einmal von Rozi verabschieden. Auch für uns war es sehr hart, Rozi zu verlieren, aber den größten Verlust erlitt sicherlich Ajtony.
Nachdem auch sie Abschied genommen hatten, ließen wir Rozvita abtransportieren. Plötzlich kehrten wir in die Realität zurück. Das leben geht leider weiter, und wir müssen damit abfinden, dass das Leben manchmal sehr grausam ist; wir kämpfen umsonst verzweifelt, es wird immer verlorene Kämpfe geben.
Liebe Rozi!
Wir wünschen Dir alles Gute, sei glücklich und stark auf den himmlischen Weiden! Dort gibt es keine Schmerzen mehr, dort ist jeder gesund. Richte bitte unsere Grüsse an unseren einst verstorbenen lieben Pferden, an Maidlen, Kisgenya und Álmos aus! Wir hoffen, ihr galoppiert jetzt schon lustig zusammen.
Rozi lebte 22 Jahre lang, davon verbrachte sie ein Jahr im Tierheim Noah.
Teilen
Vissza a cikkekhez